Mittwoch, 13. Januar 2010

Künstlergespräch mit Fred Rubin. Bildhauer. Ort: Berlinische Gallerie, 11.01.2010, 18:00 Uhr

„Dinge, die keine Geschichte haben, tragen sich nicht so weit.“

Fred Rubin arbeitet seit 15 Jahren als Rotationsrecycler. Die Essenz seiner Arbeit besteht für ihn in der Bewegung und der Verschiebung eines aufgespürten Gegenstandes. Das Phänomen dieses Schaffens initiiert sich für ihn aus dem Glück des Moments. Durch das tatsächliche Hineintragen von Stücken des ehemaligen Interieurs der zentralen Staatsgebäude der ehemaligen DDR in neue Kontexte und Räume entsteht für ihn eine neue Differenz der Ästhetik. Er schafft aus alten Fragmenten neue Strukturen. Er führt Objekte durch eine neue, andere Nutzung in einen neuen Zusammenhang hinein und verweist damit auf ihre alten Zusammenhänge. Er wertet Zeitgeschichte auf, in dem er zeitgeschichtlich aufgeladene Teile in neuen Kontexten zur „Weiternutzung“ freigibt, sie also recycelt. Er spielt mit der Geschichte der Objekte, befreit sie zugleich von dieser, re-kontextualisiert sie und gestaltet somit eine „paradoxale Sinnverschiebung“. Für ihn sind die gefundenen und von ihm „recycelten“ Objekte zur kulturellen Distinktion nützlich. Er stellt sich und dem Betrachter unumgänglich die Frage nach der Schuld der Aufladung dieser Objekte mit Ihrer Geschichte. Und ob es diese Schuld überhaupt gibt.

Das Prinzip des Recyclings kennen wir aus dem Alltag: Damit bezeichnen wir den Vorgang, bei dem aus Abfall ein neuer Rohstoff wird. Durch Recycling wird aus Müll ein neues Objekt, das zum einen beispielsweise bei Glas- oder Plastikflaschen für den ursprünglichen Zweck dient zum anderen aber für einen komplett anderen Zweck aufbereitet oder neu verwendet wird.

Fred Rubin, der beim Künstlergespräch am 11.01.2010 im Rahmen der Ausstellung „Berlin 89/09“ in der Berlinischen Galerie ziemlich gelassen und sympathisch über die Geschichte seiner Recycling-Kunst berichtet, hat einen Laptop bei sich und zeigt eine Präsentation seiner bisherigen Werke sowie einen Kurzfilm über das WMF und eine filmische Dokumentation über die Weltreise eines seiner DDR-Schätze. Links vor ihm auf dem Tisch steht, wie er später fast nebenbei erwähnt, ein Modell des Palasts der Republik aus Formo-Bausteinen, dass an Stelle des ehemaligen Gebäudes gebaut werden könnte.

Rubin bekundet im Jahr 1994, gerade aus Paris von seinem Studium bei Christian Boltanski[1] nach Berlin kommend, der Oberfinanzdirektion sein ausschließlich nicht-ideologisches Interesse an dem Interieur des Palast der Republik und konnte kurze Zeit später mit der Räumung des Palasts beginnen. Er nutzt sozusagen die Wendezeit, in der die DDR und ihre Machtzentralen suspendiert und diese teilweise schon geschlossen oder abgerissen wurden.

Das Projekt „Palast-Bar-Transfer“ zählt zu seinen ersten Arbeiten. Zwei Bars aus dem Palast der Republik wurden herausgenommen und durch eine Rotationsmaschine zu mobilen Bars umgebaut. Die Foyer-Bar erlebt ihre Neu-Nutzung als Weltreise-Bar, die „weltweite Paläste 1:1 für Ihre Bespielung sucht“. Rubin bezeichnet den Vorgang selbst u.a. auch als „Staatsmacht-Recycling“. 1995 hat er mit Freunden die ehemalige Bowling-Bar des Palasts „einfach über die Straße getragen“ und in der ersten Station des Berliner Nomaden-Clubs „WMF“ in neuem Kontext wiederverwertet und als umgebautes zentrales Raumobjekt mit neuem Wert aufgeladen. Bei jedem Umzug des Clubs wurden andere Fragmente, wie zum Beispiel Fassadenglasscheiben von DDR-Bauten aus den 60ger Jahren im WMF in der Ziegelstraße nach Rubins Rotationsprinzip wieder verwendet. Somit hat Rubin ganz nebenbei ein typisches Berlin-Phänomen mitgestaltet: Den „nomadischen Prozess“ oder auch Prinzip der „Zwischennutzung“ genannt, welches in Berlin seit 1989 bis heute verwirklicht wird. Viele Clubs, Galerien und sonstige Veranstaltungsorte ziehen von Grundstück zu Grundstück und nutzen das jeweilige für einen unbestimmten oder bestimmten Zeitraum „zwischen“. In den letzten Jahren schwächt dieses Phänomen allerdings nach und nach ab, da die Stadt oder andere Eigentümer die Grundstücke selbst verwalten oder vermieten möchten oder selbst Rechte an einigen Grundstücken besitzen.

Das Prinzip des „Rotationsrecyclings“ verfolgte er ebenfalls 2001 als er zusammen mit Freunden die „Automatenbar“ am Hackeschen Markt bestückte, die sich bis 2004 in Betrieb befand. Eine Bar, die ausschließlich mit teilweise umfunktionierten Automaten betrieben wurde. Die erste Begegnung mit diesem System, das auf die Automatentradition der 20ger Jahre verweisen sollte, erhielt man bereits an der Eingangstür des Clubs, eine neu eingebaute ehemalige Tür eines DDR-Staatsgebäudes, in die man sich durch eine Magnetkarte selbst Einlass verschaffen musste. War diese Automaten-Tür defekt, kam keiner in die Bar hinein.

Mit Lampen aus dem Zentralkomitee der SED und des Palast der Republik entwickelte Rubin Lichtinstallationen für den Nikolaisaal am Potsdamer Platz und das 2006 errichtete nationale Tanztheater „pavillion noir“ in Frankreich. Des Weiteren rotierten Stücke des „DDR-Staatsmobiliars“, aufgeladen mit der Geschichte dieser ehemaligen Republik, in zwei Restaurants, in einen Frisör-Laden, in eine Galerie-Lounge und in ein Studio von MTV in Hamburg.

Fred Rubin berichtet ebenfalls über die Verantwortung, die er übernimmt, in dem er verstaatlichtes Volkseigentum privatisiert. Benötigen rotierende Objekte ein Zwischenlager, muss ein Lagerraum gefunden oder weiter angemietet werden und natürlich werden immmer LKWs und Träger zum umziehen benötigt.

Sein bildhauerisches Konzept der Vernichtung der Geschichte und der gleichzeitigen Neu-interpretation der geschichtlichen Aufladung in neuen Kontexten wird aktuell in der Lampeninstallation „Halb-Wert/Zeit“ in der Ausstellung „Berlin 89/09“ sichtbar. Rubin nutzt hier den Raum des Museums als Zwischenlager für die ortlos gewordene Ding-Geschichte der Lampen und transformiert sie zu einer Raumskulptur. Zwölf Deckenleuchter aus dem Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz der DDR in Berlin-Karlshorst, das 2010 abgerissen werden soll, werden hier als noch gefährliches und gleichzeitig wertvolles Gut, dessen ideologische Aufladung mit der Zeit abnimmt und den Blick wieder befreit für die ästhetisch-delikate Dimension der Dinge, präsentiert.

Weiterführende Links und Quellen:
Berlinische Galerie
www.rotatif.org


[1] Christian Boltanski ist französischer Installationskünstler sowie Photograph. Er ist Bruder des Soziologen Luc Boltanski.

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